Adieu MercyShips

Meine MercyShip Zeit ist vorbei. Mit einem lachenden und weinenden Auge verließ ich das Schiff. Es fing schon in der Abschiedswoche an. Es war der letzte Einsatz am Mittwoch Morgen um fünf Uhr als PancakeMaker . Die letzte Waffel am Freitag und schlussendlich, die letzte Runde “Monopoly Deal” in Midships. Unseren Abschiedsabend verbrachten wir standesgemäß im Sharkys. Mit Juli aus dem Labor, waren wir der Rest einer Gruppe, die eine ähnliche Zeitspanne an Bord war, damit ist diese aufgelöst. In unserem Fall hatten wir sogar auf den Tag genau die gleiche Einsatzzeit.
Abschiede an Bord waren gang und gäbe, deswegen aber nicht einfacher, da man doch viele gemeinsame Stunden verbracht hatte. In meinem Fall verließ ich das Schiff jedoch auf Raten. An einem Samstag Nachmittag ging ich, fast inkognito, mit dem bepackten Fahrrad, vom Schiff. Es gab bisher vermutlich nicht viele, die die African Mercy mit einem Rad verlassen haben. Für mich war es der bisher kürzester Radeltag. Nur aus dem Hafen hinaus in ein Hotel, um meine Weiterreise zu organisieren. Abends spurtete ich dann wieder zurück und nahm an meinem „offiziellen“ Abschied Teil. Angefangen bei den Gurkas, die für die Sicherheit auf dem Schiff zuständig sind und jeden beim Namen kennen. Die wenigen, die ich noch kannte und gerade an Bord waren, kamen zur Gangway.
Neben der Abschiedsgruppe standen auf dem Dock die langersehnten Container. Voll mit Ersatzteilen, Medikamenten und Essen. Das normale Menü in der Kantine, die Instandsetzung einiger Drucker und die wegen der frischen Lieferung gefeierte Morphium-Party in der Apotheke. Nichts von all dem werden wir mitbekommen, für uns war es jetzt vorbei, das war es…
Gegen Ende meiner Zeit habe ich noch ein paar interessante Beobachtungen gemacht. Es war faszinierend, wie das ein oder andere Crewmitglied, aus einem der afrikanischen Ländern, versucht hat irgendwelche Optionen oder einen Lift nach Europa zu bekommen. Einige sehen das Schiff durchaus als Möglichkeit, langfristig in die westliche Welt zu gelangen. Die Frauen an Bord können ein Lied davon singen. Ein anderer Punkt waren die “longtermers”. Durchläuft man das Onboarding Programm und verpflichtet sich anschließend für mindestens zwei Jahre, sinken die Beiträge auf wenige 100$. Für einige stellt MercyShip dann ein normaler Job und eine günstige Art des Lebens dar. Einen Plan für ihre „Nach“ MercyShip Zeit haben sie oft nicht. Nach mehreren Jahren auf dem Schoner dürfte es für den ein oder anderen aber nicht einfach sein, in der realen Welt Fuß zu fassen.
Für mich waren die drei Monate genau die richtige Zeit. Ich hatte, auch durch meine Tätigkeit in der IT, gute Möglichkeiten in viele verschiedene Bereiche Einblick zu bekommen. Klar, kann man auch noch länger bleiben, aber das ständige Gemeinschaftsleben muss man dann schon mögen. Hinzu kommt die doch sehr kleine Welt auf dem Schiff. Die Gesprächsthemen ähneln sich mit der Zeit. Mit den Einschnitten in der Freiheit, wie der leidigen Ausgangssperre oder den fehlenden persönlichen Rückzugsorten muss man ebenfalls klar kommen. Das es kein Alkohol auf dem Schiff gibt, hält man vermutlich noch am ehesten aus. Aber auch da gibt es die tollsten Geschichten, 😉 . Am Ende ist es eine eigene kleine Kunstwelt, eine Blase, die ich sehr genossen habe und mir jetzt eine Pause gönne.

Fazit:
Immer und immer wieder habe ich mich gefragt, ob eine NGO wie MercyShips Fluch oder Segen für die entsprechenden Länder in Afrika ist. Viele NGOs genießen ja nicht den besten Ruf! Es gibt zu diesem Thema auch die unterschiedlichsten Bücher wie z.b.: When Helping Hurts.
Um bei MercyShip zu bleiben. Auch wenn ich bei vielen Dingen schlucken muss. Es gibt sicher einiges zu kritisieren. Daher ist es vermutlich am einfachsten, man bricht die Entscheidung auf die Einzelschicksale der Patienten herunter. Jedes mal, wenn ich durch die Krankenstation gelaufen bin, mich im Zelt auf dem Dock, bei den Physiotherapeuten oder den anderen Patienten zur Nachuntersuchung aufgehalten hatte, wusste ich wieder warum ich hier bin. Aus Blinden werden Sehende, Kinder und Jugendliche, die oft seit Jahrzehnten nicht laufen können, bekommen eine Chance auf ein normales Leben. Ein Tumor, der Menschen nicht nur gesundheitliche Schäden verursacht, sondern auch die Würde nimmt, erhalten durch eine OP eine Chance wieder in die Gesellschaft zurückgeführt zu werden. Der medizinische Aufwand ist groß, die OPs aufwendig, der Kreis derjenigen der diese durchführen kann, gering. Daher rührt auch der immense Aufwand des Schiffes. Aber dieser ist gerechtfertigt und nötig!
Zudem bemüht sich MercyShip im Gastland durch Trainings und Seminare in den örtlichen Krankenhäusern Spuren zu hinterlassen. Sicher sind diese nicht so nachhaltig, wie man sich das wünscht, aber es bleibt immer etwas hängen. Der Ruf der Organisation ist tadellos, der Bekanntheitsgrad riesig und das kommt nach, über 40 Jahren Einsatz, nicht von ungefähr. Geld ist sicher keines der großen Probleme von MercyShips, aber gute Leute für einen Einsatz werden immer gesucht, 😉 .
Für jeden, der selbst einmal auf dem Schiff “dienen” will: Es ist eine intensive, interessante und spannende Zeit, das kann ich versichern!

Zusatz:
Am Ende noch einen kleine Berechnung zur CO2 Emission der African Mercy. Es beinhaltet sehr viele Annahmen, daher muss es mit Vorsicht genießen. Trotzdem hat es mich interessiert, nur um eine Hausnummer zu bekommen. Bei der Betrachtung fehlten aber die Transportkosten für das Essen in der Kantine, dass zu einem großen Teil aus den Niederlanden kommt, sowie auch Wasser etc.
Die Elektrizität des Schiffes wird über vier Dieselgeneratoren, die i.d. Regel mit 1000rpm laufen und ca. 1000kw Strom pro Generator erzeugen. D.h. insgesamt 4000kW. Landstrom gibt es nicht. Der Verbrauch liegt im Schnitt bei ca. 200kg, d.h. etwa 230l bestem Diesel pro Stunde. Es wird kein Schweröl verbrannt, auch wenn das, im Gegensatz zu Europa, in Dakar erlaubt wäre. Damit ergeben sich ca. 5520l Diesel pro Tag oder ca. 15 Tonnen CO2 Emission am Tag. Das sind aber nur die Durchschnittswerte.
Geht man von einer Besatzung der festen Crew mit ca. 430 – 450 Leute aus, ergeben sich ca. 35kg CO2 am Tag, pro Person. Die 60 Betten für die Patienten rechne ich mal nicht mit. Auch die Day Crew mit ca. 150 – 200 Leute nicht. Das einfach als Richtwert.
Hier ein Beispiel für die Stelle eines Chirurgen, der oft nur zwei bis drei Wochen an Bord bleibt. Pro Einsatz liegt das Schiff 10 Monate im Hafen.

  • 18 Tage Einsatz an Bord ergeben ca. 16 Personen pro Einsatz
  • Angenommen z.B. mal 3t CO2/Flug (Hin und Zurück aus Europa oder USA)
  • 48t für die Flüge
  • 10,5t für die Zeit an Bord

D.h. Die Position des Chirurgen, für die Dauer von 10 Monaten, erzeugt ca. 60t CO2 pro Jahr!
Alleine der Einsatz eines Crewmitgliedes auf der African Mercy erzeugt eine CO2 Emission von ca. 10t pro Einsatz – ohne die Flüge und ohne die zwei Monate, die das Schiff im Trockendock in La Palma liegt oder unterwegs ist!
Geht man von der Einhaltung der 2 Grad Erderwärmung bis zum Jahre 2050 aus, berechnen unterschiedliche Institution (für jeden Bewohner des Planeten) eine maximale CO2 Emission von 2300kg/Jahr!