Europa

Spät in der Nacht landete der Flieger in Brüssel. Der Flughafen war wie ausgestorben und der Taxistand wie leergefegt. Den Bus in die Innenstadt hatte ich wegen ein paar Minuten verpasst und der nächste fuhr erst in 1,5 Stunden. Vor dem Abflug organisierte ich mir noch ein Hotel im Zentrum von Brüssel. Jetzt erlebte ich es wie es ist, die über 35 kg Ausrüstung, gepackt in Satteltaschen nicht auf dem Rad, sondern “per Pedes” zu transportieren. Es war, Milde gesagt ‚unkomfortabel‘.
Kurz vor Mitternacht erreichte ich glücklich das Hotel. Gegessen hatte ich seit Tagen nichts Vernünftiges und so schlenderte ich am Boulevard entlang um noch etwas zu finden. Schließlich war es Samstagnacht, aber Europa war mit den Geschäftsschließungen schon wesentlich weiter als in Westafrika. Nichts hatte offen und niemand war unterwegs. Damit fiel ich hungrig und hundemüde, nach den erlebnisreichen Ereignissen der letzten 50 Stunden ins Bett. Als Radler ohne Rad, der innerhalb von wenigen Stunden, vollkommen unvorbereitet in ein verändertes Europa katapultiert wurde.
Am Morgen suchte ich mir für die nächsten Tage ein AirBnb, direkt am Bahnhof. Für meine Ankunft in Deutschland musste ich das Ein oder Andere organisieren. Brüssel empfing mich mit sonnigem Wetter und leeren Straßen bzw. Fußgängerzonen. Beim schlendern traf ich auf eine Pizzeria die ein ‚take away‘ anbot und Belgisches Bier fand ich auch. Schon im Vorfeld hatte ich eine tolle Dusche und ein weiches Bett. So fand meine Ankunft in der “Zivilisation” doch noch statt. Der absolute Luxus! Aber so hätte ich mir es, bis vor ein paar Tagen, nicht einmal in den kühnsten Träumen vorgestellt.
Die nächsten Tage verbrachte ich mit langen Spaziergängen und dem Organisieren einzelner Dinge in der Heimat. Da der Verleih der Stadträder komplett online ging, konnte ich mir ein Fahrrad ausleihen und so ein wenig die Stadt erkunden. Brüssel ist eine hübsche Stadt, da lässt es sich aushalten. Machte man es sich in den Parks zu bequem, gab es von der Polizei jedoch höflich den Hinweis den Platz zu räumen. Es durfte lediglich spaziert, aber keine längeren Aufenthalte gemacht werden. Ansonsten war das Leben recht ruhig und unaufgeregt. Vor den Supermärkten gab es, je nach Tageszeit längere Schlangen, da die Security lediglich eine gewisse Anzahl von Kunden in den Laden ließ. Etwas gewundert habe ich mich, als ich von normal gekleideten Personen auf offener Straße nach Geld angesprochen wurde. Das kannte ich bisher nicht und passierte mir bei meinen Spaziergängen laufend.
Die ICEs verkehrten noch planmäßig, waren die Grenzen zwischen Deutschland und Belgien von einer Sperrung ausgenommen. Kurz vor dem Ziel gab es einen Personenschaden und die Strecke wurde gesperrt, was meine Ankunft in Stuttgart verzögerte. Gehörte das schon zur Auswirkung der Corona-Krise?
Durch meinen Freundes- und Bekanntenkreis bekam ich im Vorfeld einen Überblick, was mich in einem Deutschland in der Corona-Krise erwartete. Die Auswirkungen waren in den Lebensbereichen der einzelnen Berufsgruppen noch extremer als davor. Zum einen, die in der Industrie angestellten Familienväter, die jetzt gemütlich in ihren Einfamilienhäuser saßen. Mit Gewinnbeteiligungen aus dem vorherigen Jahr, Kurzarbeitergeld und großem Garten, lies es sich aushalten. Die Aussagen: “Alles nicht so schlimm, vollkommen entspannt. Endlich mal Zeit für die Familie und Dinge, zu denen man sonst nicht kommt. Mache jetzt sogar einen auf Hausmann!”. Auf der anderen Seite die Angestellten im medizinischen Bereich, wie z.B. in den Krankenhäusern. Sie wissen nicht wo ihnen der Kopf steht, vor Arbeit ertrinken und unter den mangelnden Schutzkleidungen täglich große gesundheitliche Risiken eingehen. Die Gesellschaft bedankt sich mit “Danke für euren Einsatz” Plakaten, aber im Geldbeutel ist deshalb trotzdem nicht mehr drin. Am Ende die Studentin, die jetzt ihre Masterarbeit nicht abschließen kann und das versprochene Jobangebot nicht bekommt. Die Aushilfstätigkeit im Restaurant ist weg und die Zukunft damit vollkommen offen. Die Bandbreite ist groß.
Insgesamt hat Corona wohl das Leben insgesamt entschleunigt. Vielleicht denken ja ein paar über ihren Lebensstil nach. Über das immer weiter, immer mehr und immer größer. Schaden würde es nichts. Allerdings gab es 2008 eine ähnliche Situation. Nachdem die Krise dann durchgestanden war und der Rubel wieder rollte, setzte das große Vergessen ein. Es war wie mit den guten Vorsätzen für das neue Jahr, die auch keiner umsetzt. Aber wer weiß, vielleicht wird diesmal alles anders, 🙂 .

Ein guter Freund hat mir einmal gesagt, Afrika sei die “Universität des Lebens”. Sehr lange habe ich nicht begriffen, was er damit meinte. Mir war es vergönnt, in einen Teil des Kontinents Einblicke zu bekommen und habe ein paar Dinge verstanden. Dieses Thema diskutiert man aber lieber bei einem Glas Trollinger. Das würde den Rahmen hier sprengen, ;-).

Am Ende möchte ich mich bei meinen Eltern bedanken. Sie haben sich in meiner Abwesenheit um die Dinge in der Heimat gekümmert und waren immer erreichbar. Vielen herzlichen Dank!
Auch andere im Freundes- und Bekanntenkreis gaben mir viel Unterstützung. Oft sind es nur Kleinigkeiten, aber ohne diese Hilfe werden aus kleinen Problemen oftmals große. Auch denjenigen gilt mein besonderer Dank!
Wie es weitergeht weiß ich aktuell nicht. Eine Todo Liste mit PC’s, die repariert werden müssen und Fahrräder, die dringend eine Wartung benötigen usw. gibt es schon. Beruflich muss ich mir Gedanken machen. Vermeintliche Jobangebote können aber abgegeben werden, 🙂 .