Shutdown

Am Morgen meiner Abfahrt regnete es für 10 Minuten. Nach gut sechs Monaten mein erster Schauer. Auch für die Menschen hier, war es der erste Regen in der Trockenzeit! Die Luft wurde klar und etwas kühler, ein optimaler Start in den Tag!
Die Fahrt aus der Hauptstadt auf der Autopiste war nicht ganz so schlimm wie vermutet. Sie führte vierspurig und nicht ständig von blockierenden Märkten durchsetzt, auf der nördlichen Seite der Halbinsel aus der Stadt. Trotzdem war ich froh, als nach 70km der Verkehr und der Trubel ein wenig nachließ. Ab der Abzweigung nach Sierra Leone wurde die Straße jedoch erneut zu einem Abenteuer. Sie war schmal, mit vielen Schlaglöchern und streckenweise eine staubige Sandpiste. Da wurde mir dann klar, daß ich es am selben Tag nicht mehr an die Grenze schaffen würde. Die letzten 20km sparte ich mir und stellte mein Zelt an einem herrlichen Platz in der Savanne auf. Am nächsten Morgen rollte ich auf einer von der EU finanzierten und frisch geteerten Straße in Richtung Grenze. Die Geldwechsler waren schon aktiv und so tauschte ich ein paar Guinea-Franc in Sierra Leone Dollars, zum Kurs von 1:1. Wieder hatte ich ein paar Hunderttausend in der Tasche und war bereit für das nächste Land.
An der Grenze angekommen gab es Tumult. Die grimmigen Gesichter der Militärs, als ich mein Rad an die Absperrung schob, ließen nichts gutes erwarten. „Ferme“ schrien sie und fuchtelten wild mit den Armen. „Fini!“. Erst konnte ich es nicht glauben aber die Grenze war zu. Guinea hat seit heute den Ausnahmezustand ausgerufen und die Grenzen geschlossen. Sierra Leone auf der anderen Seite ebenfalls. Für wie lange wusste keiner, die Aussagen widersprachen sich. Einmal hieß es für vier- ein andermal für zwei Wochen. Meine Frage, ob denn die Grenze nach Liberia noch offen sei, konnte mir keiner beantworten. Es lag Aggression in der Luft, andere Reisende standen ebenfalls überrascht vor dem verschlossenen Schlagbaum und waren entsprechend gereizt. Die Maßnahmen der Regierung wurden erst im Laufe des gestrigen Tages entschieden, aber dann sofort umgesetzt. Ohne jegliche Vorwarnung.
Die Soldaten wurden zunehmend ungehaltener und schickten jeden weg. Im Ort selbst versuchte ich noch bei den lokalen Polizisten eine Lösung zu finden, wurde aber ebenfalls extrem unfreundlich abgewimmelt. Somit wechselte ich mein Geld mit einigen Verlusten wieder zurück und entschied mich, zur liberianischen Grenze zu fahren. Das waren gut 600 km durch das Landesinnere. In einem großen Bogen um Sierra Leone. Noch gab es die Hoffnung, dass die Schließung nur für zwei Wochen anhielt. Zudem war Afrika immer noch Afrika und die Situation konnte an einem anderen Ort ganz anders gehandhabt werden.
Der erste Teil der Strecke war landschaftlich abwechslungsreich. Die Piste schlängelte sich am Rande eines kleinen Mittelgebirges, mit abrupten Felsformationen, entlang. Es gab immer wieder kleine Dörfer, oft etwas abseits der Hauptroute. Abwechselnd gab es ein paar Cashew-Bäume, dazwischen Palmölhaine und in den weiten Tälern Reisanbau.
Mein neuer Name war jetzt „Bronte“. Die Kids schrien es im Chor wenn sie mich sahen und rannten mir hinterher. Entdeckten sie mich am Ortseingang gingen die Rufe wie eine Welle durch das Dorf. So oder so ähnlich musste sich der Papst fühlen, wenn er mit seinem Papamobil durch die Menschenmenge fuhr. Ständig die winkende Hand zum Gruß erhoben und dabei erhaben mit dem Kopf erst nach links, dann nach rechts nicken. Nicht nur die Überquerung der Flusstäler und den damit verbundenen Anstiegen war ein Schlauch. Nein, die ständige Grußprozedur war es ebenfalls. Mir wurde auch klar gemacht, dass wenn ich die Grüße nicht beantworte, dies respektlos sei. Die Leute sind daraufhin beleidigt. “Ich habe Dich vorher überholt und gegrüßt, aber Du hast nicht reagiert!”. Diesen Vorwurf habe ich mir ein paarmal in meinen Cola-Pausen anhören müssen. Das ich aber tagsüber von sehr vielen Mopedfahrern überholt werde und ich nicht jeden beachten kann, spielt dabei keine Rolle. Tja, Jungs da müsst ihr eben durch!
Der Coronavirus war jetzt auch im Hinterland ein großes Thema. Als mir ein Dorfbewohner bei der Organisation von Wasser und Sprit für meinen Benzinkocher half, wurde dieser wild gestikulierend von einem Polizisten angeschrien. Ein paar Minuten später tagte der Dorfrat in einem strohgedeckten Versammlungsraum. Etwas abseits bekam ich einen Stuhl und musste mich setzten. Mein “Gastgeber” war daraufhin angehalten, den ganzen Ablauf nochmals zu schildern. Selbst wurde ich nur gefragt, was ich denn hier mache und wo ich überhaupt herkomme? Es war ein langes Palaver von dem ich nicht sehr viel verstand. Am Ende zog ich meinen MercyShip Ausweis heraus. Auf diesem war die senegalesische Flagge und ein Datum im Februar vermerkt. Somit konnte ich ihnen klar machen, dass ich schon einige Monate in Afrika und nicht gerade erst jetzt eingereist sei. Vor DEM hatten die Leute nämlich Angst. Ein Weißer war ein potentieller Corona-Überträger. Das wurde mir schlagartig bewusst! Sie ließen mich daraufhin weiterziehen, aber etwas mulmig war mir dabei schon.
Das Benzin, dass mir verkauft wurde, brannte dann auch nicht. Mehrmals hatte ich die Leute darauf hingewiesen, das ich normales Benzin brauchte und kein Zweitakt-Mischmasch, wie es hier für die Mopeds verwendet wird. Das passierte mir leider mehrmals. Beim vierten Mal war es mir dann zu viel der Diskussion. Als der gute Mann den Sprit aus seiner PET Flasche in meinen Kocher umfüllte, zog ich zum testen das Feuerzeug heraus. Als er dann hektisch abwinkte wusste ich, jetzt war es gut und ich musste am Abend nicht schon wieder ein Feuer machen. Das nervte langsam, 🙂 .
Mein Trinkwasser bekam ich aus den Dorfbrunnen. Waren Kinder oder Jugendliche am Werk, füllten sie mir die Wasserflaschen auf. Bekam ein älterer Dorfbewohner die Aktion mit, schüttete dieser die Flaschen wieder aus. “Das Wasser ist nicht trinkbar”, so die Aussage. Sie schickten mich dann zu einem besseren Brunnen. In einem Fall war dieser mit einem Bügelschloss gesichert. Wir organisierten den Schlüssel, öffneten das Schloss und ich betätigte selbst die Fußpumpe. Defekt! Als Reaktion meines Helfers bekam ich das altbekannte Schulterzucken. “Es tut mir leid, aber hier gibt es kein Wasser”, so die Bemerkung. Die Leute wollten mir, dem “le blanc” nicht ihr schlechtes Wasser geben. Für sich selbst hatten sie jedoch nichts anderes…
Vor den größeren Städten wie Mamou und Faranah gab es verstärktes Militäraufkommen. Es wurde von jedem, der in die Städte wollte, die Körpertemperatur gemessen. Die Taxis und Kleinbusse wurden angehalten und jeder musste aussteigen. Die Welt veränderte sich also auch hier…
Unterwegs hatte ich mir eine SIM Karte für Orange, den hiesigen Mobilfunkbetreiber gekauft. Die Netzabdeckung entlang der Straße war sehr gut. Man hatte meistens Internet, wenn auch sehr langsam. Aber in Anbetracht der Tatsache in welchem “Nirgendwo” ich mich befand, war das doch beeindruckend. So bekam ich auch mit, dass sich die Corona-Schlinge immer weiter zuzog. In Conakry gab es jetzt Ausgangssperren und die Stadt wurde nach Norden hin abgeriegelt. Auch die Elfenbeinküste hatte jetzt die Grenzen geschlossen. Über Liberia waren die Informationen noch schwammig. Meine Hoffnung noch einzureisen zu können, schwand aber immens.
Nach acht Tagen nonstop im Sattel erreichte ich dann Kissidougou. So freute ich mich auf ein Hotel, eine Dusche, ein weiches Bett und endlich wieder etwas Vernünftiges zu Essen. Waren die Dörfer die ich passierte schon ärmer als das was ich in Guinea bisher gesehen hatte, so reihte sich die Stadt in dieses Gesamtbild ein. Es gab keine Dusche sondern lediglich einen Wasserkanister, der auch für die Klospülung vorgesehen war. Das Bett war vollkommen versifft und Strom gab es ebenfalls keinen. “Der kommt heute Abend”, hieß es. Meine Akkus des Elektronikzoos waren ziemlich leer. Warum ich jetzt die acht Euro bezahlte, weiß ich nicht. Zelten war im Gegensatz hierzu Luxus. Im Hotelrestaurant bot man mir lediglich gekochte Kartoffeln mit Mayonnaise! und ein paar Tomaten zum Essen an. Bei der Frage nach Bier wurde ich von einer Bar zur nächsten geschickt. Bei der vierten gab ich dann auf. Wo verdammt nochmal war ich hier gelandet? War das die Zivilisation?