Geisterdörfer

Das Verlassen von Barcelona nach Süden gestaltete sich schwieriger als gedacht. Um das Autobahnwirrwar mogelte ich mich durch Unterführungen und über Brücken hinweg durch. Es dauerte ewig, aber mit etwas Gefühl auf der Suche nach den nicht ausgeschilderten und nur abschnittsweise bestehenden Fahrradwegen, befand ich mich nach einigen Stunden endlich auf der Küstenstraße. Ein Wahnsinn was sich über den ersten Abschnitt in Richtung Tarragona an Verkehr quälte. Es gab allerdings keine Alternative. So teilten sich Rennradler, LKWs und Autos den an sich landschaftlich sehenswerten Abschnitt.
Wenn es irgendwie möglich war verließ ich die Hauptstraße, Dank den Karten von Openstreetmaps konnte ich mich auf netten Nebenstraße durch die kleinen Orte, direkt am Wasser schlängeln. Im „Bosque de la Morra“, einem Naturschutzgebiet verbrachte ich dann meine erste Nacht. So schob ich mein schweres Rad auf den steinigen Waldwegen in die Nähe des wilden, mit Felsen versehenden Strandes, den man nur zu Fuß erreichte. Leider war dieser von Anhängern der Naktbadekultur bevölkert, was ihn nicht gerade sehenswert machte. Warum dieser Kult vorwiegend bei Männern in fortgeschrittenem Alter verbreitet ist? Wer will denn so etwas sehen? Nichts desto trotz war es ein schönes Plätzchen mit einem alten Leuchtturm, dem „Torre de la Morra“. Nachdem es dunkel wurde, hatte ich in dem Naturschutzgebiet dann auch meine Ruhe.
Die Tage waren mittlerweile recht kurz. Gegen 19:30 wurde es dunkel. Am Morgen baute ich mit der Taschenlampe das Zelt ab und fuhr in der Dämmerung los. Somit nutze ich das Tageslicht voll aus. Herum trödeln war leider nicht drin, denn das Schiff in Malaga hatte einen festen Termin und die größeren Städte wollte ich dann doch noch sehen.
Allgemein glichen die Dörfer eher Geisterstädten. Die Saison war vorbei und es trieben sich nur ein paar Rentnern am Strand herum. Gelangweilt und etwas verloren schlappten sie die Promenaden entlang. Die Duschen oder Wasserspender, um sich die Füße nach einem Strandspaziergang zu waschen, waren zum Großteil auch schon abgestellt. Auf dem Strand herumlaufen war dann eine sandige Geschichte. Das Meerwasser war aber noch angenehm und so hüpfte ich zur mittäglichen Abkühlung ein paarmal, komplett mit der Radhose bekleidet, in die Wellen. Diese war dann auch gleich gewaschen, ;).
So kurbelte ich durch menschenleere Straßenzüge, tote Wohngegenden und Häuser mit geschlossenen Fensterläden. War die Architektur sowieso kein Augenschmaus wirkte es ohne Leute noch trister. Das einzige Leben waren die herumstreunenden Katze und Hunde auf der Suche nach etwas Fressbaren. Lediglich auf den Dorfplätzen fanden sich die Einheimischen ein. Dort war dann auch der Ort, an dem es noch etwas Kaltes zu trinken gab, denn viele Geschäfte, etwas außerhalb gelegen, hatten geschlossen.
Auf der Halbinsel ab L‘Ampolla war es erst einmal vorbei mit dem „Urlaubsfeeling“ an der Küste. Es folgten große Reisfelder, die Orte waren Arbeiterdörfer. Hier gab es nichts mehr, was einen an Sonne, Strand und Meer erinnerte. Das Straßenbild änderte sich, es wurde schmuddeliger, rustikaler und die vorwiegend schwarzen Feldarbeiter liefen in Arbeitskluft herum.
Kurz vor Castellion zog ich von der Küste ab in die Berge, in den Nationalpark „Dessert des les Palmes“. Eine sagenhafte Strecke, vorbei an kleinen Fincas, die als Rückzugsort vieler Spanier und einigen Aussteigern dienten. Auf der kleinen und sehr steilen Straße kletterte ich abends, zu später Stunde auf über 500m Höhe. Oben, direkt neben dem großen Kloster in den Bergen schlug ich mein Zelt auf. Ein herrlicher Ausblick über Buchten unter mir tat sich auf. Die Abfahrt am folgenden Tag, in aller Frühe bei Sonnenaufgang, war ein Traum. Es war Sonntag und mir kamen die ersten Rennradler, schwer schnaufend entgegen. Die Radstrecke scheint für die Einheimischen der Gegend um Castellion wohl ein “Klassiker” zu sein.
Zufällig lag mein Hostel in Valencia direkt am ‚Placa del Baro de cortes‘ auf dem, zur Feier des Tages in regionalen Trachten getanzt wurde. Es war eine schöne und farbenprächtige Unterhaltung, die ich direkt aus meinem Zimmerfenster verfolgen konnte. Bei der Musik und den Tänzen gab es allerdings wenig Abwechslung, es wiederholte sich immer wieder, der Takt war durchgehend der gleiche. Es wurde zäh beim zuhören. Daher entschied ich mich mit meinem malaysischen Mitbewohner Kevin (sein richtiger Name war Poh, den wollte er aber nicht hören, 😉 ) für eine riesige Portion Paella in einem besseren Restaurant. Nach den Radeltagen hatte ich mir das verdient und für Kevin war es die erste Paella seines Lebens. Er war auf einem Trip durch Europa, in klassischer, asiatischer Form. Ein Tag hier, ein Tag da, Europa im Akkord. Wir hatten eine gute Unterhaltung über die Art und Weise des Reisens. Und tatsächlich: Spät in der Nacht, nach einigen Bieren fing er über den Sinn und Unsinn seiner eigenen Tour an zu grübeln, 😉
Einen Tag gönnte ich mir noch, besichtigte die beeindruckende Architektur des Wissenschaftsmuseums und genoss den Flair der Stadt. Im Gegensatz zu Barcelona ging es hier wesentlich ruhiger zu. Der riesige Park im ehemaligen Flussbett des Turia, der in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts trockengelegt wurde, zieht sich durch die ganze Stadt und hatte etwas beruhigendes. Man konnte herrlich flanieren oder seinem Bewegungsdrang freien Lauf lassen. Sport scheint hier einen hohen Stellenwert zu haben. Es gab viele freie “Outdoor” Sportgeräte im Park, die von den Joggern auch ausgiebig genutzt wurden.