Bissau

Zu der Schotterpiste kamen zusätzlich noch kleine Anstiege und es fühlte sich an wie eine Ewigkeit. Für die ständigen Zurufe aus den Hütten hatte ich jetzt nichts mehr übrig, wollte nur noch ankommen. Dann endlich, am Ortseingang saß ein gelangweilter Polizist vor seiner Hütte. In einem portugiesischen Kauderwelsch quatschte ich ihn an. Vielleicht ein Fehler. Er suchte das Visum in meinem Pass. Immer und immer wieder betonte ich, dass ich dieses noch benötige. Lange Diskussion, dann wollte er Geld. 10.000 CFAs, einfach so. Damit er mich weiterfahren lies. Die Immigration war im Zentrum des Dorfes. Er gab seinem Mofakumpel meinen Pass und ich musste hinterher. Bei dem Immigrationsfritzen das gleiche Spiel. “Wo ist das Visa?”, so die Frage nach dem durchblättern. Erst betonte er, hier gibt es keine Visa. Dann aber, nach einer Weile, wollte er 60.000 CFAs. Ging also doch? Da drehte ich mich um und sagte im Gehen: “Zuviel, normalerweise kostet es 20.000CFAs”. Das Spielchen machte ich dreimal mit. Am Ende bezahlte ich 20.000, der Type war sichtlich genervt, aber ich im Land. Über meine Sturheit war ich selbst überrascht, aber diesen Typen hatte ich gefressen.
Es wurde schon langsam dunkel, trotzdem wollte ich noch auf die andere Seite des Flusses. Der Ort an sich gefiel mir. Breite Straßen, mit einem kleinen Boulevard im Zentrum und netten Gebäuden aus der Kolonialzeit. Durch die gute Lage am Fluss, war dies früher eine wichtige Handels- und Garnisonsstadt der Portugiesen.
Bei den Marktfrauen fand ich etwas Essbares und die kleine Fähre brachte mich an das andere Ufer. Dort erwarteten mich schon die “Branco, Branco” Rufe der Kinder und Jugendlichten. Das war ab jetzt meine neue Bezeichnung. An einem Dorfbrunnen angelangt, gab ich den Frauen meine Wasserflaschen. Den “Pumpjob” erledigten immer die Frauen oder die Kinder. Diesmal stellte ich mich an die Pumpe und war vermutlich die Attraktion des Tages. Umzingelt und angefeuert von den Dorfkindern füllte ich zusätzlich zu meinen Wasserflaschen, unzählige andere Kanister. Ich war hundemüde, aber der Spaß war es mir wert. Irgendwann konnte ich mich lösen und fuhr noch ein paar Kilometer. Im Dunkeln tastete ich mich durch den Palmenhain um mein Zelt aufzustellen und hoffte, in der Nacht nicht von einer Palmölfrucht erschlagen zu werden. Was für ein erlebnisreicher Tag…!
Bis in die Hauptstadt Bissau nahm ich die Hauptstraße. Der Zustand dieses war jedoch so schlecht, da kam man auf den Lehmpisten sogar besser voran. Übersät mit Schlaglöchern und dem vielen Verkehr. Um die Löcher zu navigieren nahm einiges an Zeit in Anspruch.
Das Zentrum besteht aus Gebäuden der portugiesischen Kolonialzeit. Die Straßen, wenn sie denn überhaupt geteert waren, sind ebenfalls mit Schlaglöchern durchsetzt. Alles zusammen hatte es aber einen wesentlich angenehmeren Character als die Städte zuvor. Vermutlich lag es auch an der Größe, diese ist überschaubar. Guinea-Bissau ist ein armes Land, das sieht man am Stadtbild und an den wenigen modernen Autos. Der alte Daimler Diesel war auch hier das Standard-Taxi. Es gibt keine Industrie, nur ein bisschen Handel. Die UN hat einen großen Standort und ist einer der größeren Arbeitgeber des Landes.
In Bissau kam ich bei Armando, einen Peruaner, der lange Zeit in Deutschland gelebt hat, unter. Er gab mir auch den Tipp des Deutschen Stammtisches. Ein besonderer Menschenschlag. So hatte ich interessante Gespräche. Das Theater über den Coronavirus wird zwar verfolgt, aber die aktuellen Probleme sind andere. Momentan geht es um Politik. Der aktuelle Präsident hat sich im Februar diesen Jahres selbst ernannt. Die Lehrer bekommen kein Gehalt und die Schüler damit keinen Unterricht. Die Menschen im Lande haben nichts und sind müde, viele erlebten den letzten Bürgerkrieg. Sie wollen einfach Ruhe und Stabilität, es brodelt aber trotzdem. Guinea-Bissau gehört zu den ärmsten Ländern dieser Welt und ist immer noch ein großer Umschlagspatz für Drogen aus Kolumbien. Die Ware geht oft über die vorgelagerten Bijagos-Inseln. Einige Politiker verdienen gut an dem Geschäft mit und das Militär ist ebenfalls in den Handel verstrickt. Erst vor kurzem wurden die örtlichen Polizisten für einen Tag vom Militär eingesperrt. Ein Containerschiff aus Kolumbien lag im Hafen…
Was die landwirtschaftliche Situation des Landes angeht, gräbt u.a. die EU den lokalen Bauern das Wasser ab. Zwiebeln und Tomaten werden zu Dumpingpreisen importiert. Dabei kann das alles im eigenen Land angebaut werden! Die Situation ähnelt der im Senegal, wobei dort die Einfuhr etwas regulierter stattfindet.
Die für das Land und dessen Einkommen wichtigen Cashewnuss Kerne können nicht veredelt exportiert werden. Das würde einen größeren Teil des Profits vor Ort belassen. Dies aber lässt eine EU-Verordnung nicht zu und so wird lediglich die Rohware verschifft.
Eine deutsche Krankenschwester, die für eine Hilfsorganisation tätig ist, klagte mir ebenfalls ihr Leid. “Es sei frustrierend, über die Jahre ändert sich einfach nichts”, so ihre Aussage. “Egal wie viel Geld man in die Organisation steckte. Es ist einfach niemand da, der sich verantwortungsvoll und mit entsprechendem Fachwissen um die Einrichtung kümmert! Ein Trauerspiel”.
Und so setzte sich für mich wieder ein Puzzle der Situation des Landes zusammen. Sollte man hier etwas verändern wollen, so müsste an vielen Stellschrauben gedreht werden. Mit Geld alleine ist es nicht getan, das verschwindet. Meistens ohne seine Wirkung zu entfalten.
Ein paar Tage blieb ich und lernte viel über das Zusammenleben einzelner Gemeinschaften kennen. Bei portugiesischem Bier mit den Nachbarn oder auf kleinen Festen mit den unterschiedlichsten Leuten. Überhaupt wird mit dem Thema Alkohol hier recht locker umgegangen. “Muslime light” hieß es immer, 😉 .
Mein Freilauf zickte und so musste ich einige Stunden auf den Märkten, mit der Suche nach Ersatzteilen verbringen. Dass es so schwierig ist, hätte ich nicht gedacht. Hier gab es nur gebrauchte Ware der vorletzten Shimano Generation. Eine komplette, alte 9-Fach Nabe fand ich jedoch. Mehr als sonst gilt hier die Regel: Wenn es etwas gibt, sofort kaufen! Eine andere, bessere Möglichkeit wird es nicht geben!
Die Bijagos-Inseln sparte ich mir, wobei das im Nachhinein vielleicht ein Fehler war. Sie sollen traumhaft schön sein und die Leute von einem speziellen Schlag. Rebellen, die lange für ihre Unabhängigkeit gekämpft haben. Dann aber trotzdem in den Staat integriert wurden. Im Gegensatz zum Rest des Landes hat hier die Frau das Sagen. Sie kann bis zu zwei Männer haben! Von dem dortigen Drogenthema bekommt man wohl nicht viel mit, hat es in den letzten Jahren etwas an Bedeutung verloren.
Für meine weitere Route sah ich auf der Karte eine Abkürzung. Die Einheimischen wussten aber auch nicht genau, ob ich da bis Guinea durchkomme. Aber wie habe ich in Afrika gelernt: Es gibt immer eine Möglichkeit. So packte ich mein Rad, nahm Abschied von Armando, mit dem ich eine tolle Zeit hatte und sprang auf die Fähre nach Enxude. Dort lagen wieder mehrere 100km Schotterpiste vor mir. Eine abgelegene Region, aber überall kleine Dörfer! Mit Lebensmittel war ich eingedeckt, denn wie schon vermutet gab es nichts zu kaufen. Verhungert wäre ich trotzdem nicht. Die Dorfbewohner waren aufgeschlossen und sehr höflich. Oft kommt hier kein “Branco” vorbei. Bei den Kids war ich immer der Star. Sie stritten sich teilweise, wer mir die Wasserflaschen füllen durfte, 😉 .
Einen Umweg von 40km machte ich wegen ein paar Wasserfällen. Sehr hübsch gelegen, mitten im Dschungel. So konnte ich nach drei Tagen mal wieder ein Vollbad nehmen. Einen Schock bekam ich, als Kinder, vollkommen nackig im Fluss standen und eine Autobatterie zerlegten. Sie wuschen die Bleiplatten im Fluss aus. Hmm… ich fragte noch, ob sie denn wussten, dass es alles giftig ist und sie damit das Wasser kontaminieren. „Ja – aber es bringt gutes Geld!” Da viel mir erst einmal nichts mehr ein und zog wortlos weiter. Auch das ist Afrika…
In Candembel erreichte ich die Grenze, hatte aber Schwierigkeiten sie zu finden. Man lotste mich jedoch zu einem der Grenzer. Der trug seine Zivilklamotten und war für niemanden erkennbar. Vor der Strohhütte unter dem Mangobaum sollte ich Platz nehmen. Er musste erst jemanden losschicken und den Ausreisestempel holen. Nach 15min des Wartens gab es dann die verzweifelten Versuche, aus dem ausgetrockneten Stempelkissen noch etwas lesbares herauszuholen. Oft scheint hier wohl keiner auszureisen.
Der Schlagbaumes war lediglich ein langer Stab über einen Fußweg. „Einfach dem Weg zwei Kilometer folgen, dann kommt die Grenze”, so die Verabschiedung. Dort angekommen, gab es ebenfalls nur eine gespannte Schnur. Als ich im Dorf gesichtet wurde, kam hektisch ein verantwortlicher Militär auf dem Mofa daher gebraust. Ordnungsliebend fragte er nach meinem Pass. Sein Kollege erkannte mich sofort, hatte er mich schon vor Tagen auf der Straße gesichtet. Der Buschfunk funktionierte also tadellos. Selbst wenn ich wollte, ich könnte hier gar nicht verschwinden, 😉 .
Auf die Frage, wie ich denn in ein paar Kilometern, in Guinea, den Fluss überqueren könnte, wussten sie keine Antwort. Auch wo die Immigration von Guinea wäre, wussten sie nicht. Der geografische Horizont hörte bei den Beiden an der Grenze auf…